Jutta Fiedler Ton und Phantasie

5.5.23 – 30.6.23

Jutta Fiedler ist in Würzburg zuhause und erlernte den Beruf der Kinderkrankenschwester, machte Fortbildungen und arbeitete schließlich als Lehrerin für Kinderkrankenpflege. Sie ist verheiratet und hat 2 erwachsene Töchter!

„Die wahren Abenteuer sind im Kopf“, sagt die Künstlerin und zitiert damit André Heller, in dessen Chansontext es weiter heißt: „und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo“.

Ein Abenteuer war auch der Weg von Jutta Fiedler in die Kunst.

Es ist noch nicht so lange her, dass Frauen oft erst auf Umwegen zur Kunst kamen: weibliche Lebenswege verliefen nicht immer so geradlinig wie männliche, waren aber gerade deshalb häufig besonders vielfältig und reich. Frauen ordneten ihre eigenen Interessen oft denen ihrer Lebenspartner und ihrer Familie unter und erinnerten sich erst, wenn sie “ aus dem Gröbsten heraus “ waren, wieder an ihre Begabungen.

So war es auch bei Jutta Fiedler. In den 80er Jahre kam sie zur Kunst – und zwar durch ihre Schwester, die selbst künstlerisch tätig ist! Ohne sie gäbe es vielleicht diese Ausstellung nicht!

Jutta Fiedler litt an einer Beinverletzung, die sie ans Haus fesselte, was ihre Schwester Romi Friedel veranlasste, ihr einen Klumpen Ton vorbeizubringen mit der Aufforderung, was draus zu machen.

Diesen ersten Anfängen folgte ein Töpferkurs, der die Freude am plastischen Gestalten aufblühen ließ.

Damals wagte sie sich noch nicht an die menschliche Figur, sondern formte vor allem Fantasiewesen, die aus Fabeln, Märchen und Grotesken zu stammen scheinen.

Ein Hauch dieser Gestaltungsweise und die Neigung zum Surrealen sind der Künstlerin geblieben. So z.B. wenn sie eine lachende Frau auf einem Fisch reiten lässt oder wenn bunte Vögelchen das Haar eines jungen Mädchens zum Fliegen und ihre Frühlingsgefühle zum Tanzen bringen. Dass diese poetischen Kunstgriffe auch eine sinnhafte Bedeutung haben, ist offensichtlich.

Die 3 farbig gefassten Tiere – Giraffe, Ochse und Seepferdchen – erinnern ein wenig an die ersten Fantasiewesen, auch wenn sie jetzt durchaus realistisch sind.

Studien an der Trierer Sommerakademie und ein weiterer Töpferkurs in Karlsruhe brachten Sicherheit und Mut zur menschlichen Gestalt! Hatte sie doch mit ihrer anatomischen Vorbildung aus der Schwesternschule beste Voraussetzungen!

Seit 2005 steht nun der Mensch im Mittelpunkt ihres Schaffens.

Erst 2014 wage sie den Schritt an die Öffentlichkeit bei der Fine Arts im Kulturspeicher – mit großem Erfolg!

In ihrem Beruf als Krankenschwester hatte sie gelernt, Menschen genau anzuschauen, ihre Gefühlsregungen zu lesen, auf sie zuzugehen und Sorgen und Ängste zu verstehen.

Eine bessere Schule für ihre künstlerische Tätigkeit hätte sie nicht haben können!

Es macht Jutta Fiedler Freude Menschen zu beobachten, Ihre Körpersprache und Mimik zu studieren, freiwillig und unfreiwillig komische Momente und zwischenmenschliche Interaktionen festzuhalten.

Ihr Blick auf den Menschen ist liebevoll und anteilnehmend – nicht kritiklos – aber voller Empathie.

Sie erinnert mich in dieser Hinsicht sehr an unsere bekannteste Würzburger Künstlerin der Moderne – an die Bildhauerin Emy Roeder. Auch für sie war der Mensch das Hauptthema und sie zeigte fast ausschließlich seine positiven Seiten.

Jutta Fiedler schöpft aus dem eigenen Erleben und aus der Beobachtung ihrer Zeitgenossen. Sie ist überdies besonders fantasiebegabt, also ein Mensch, der sich vorstellen kann, wie Dinge sein oder sich Begebenheiten entwickeln könnten. Mit einem Wort – sie ist auch eine große Geschichtenerzählerin.

Bei Spaziergängen mit ihrem Hund sind beide übereingekommen auf Unterhaltungen zu verzichten und den eigenen Gedanken nachzuhängen, wobei dann manche Idee zu plastischen Werken entsteht.

Bei diesen Wanderungen entdeckt sie immer wieder Objekte – seien es Schneckenhäuser, Knochen oder Schädel von Tieren, Federn oder gar alte Nester und vieles mehr, das sie manchmal in ihre Plastiken einarbeitet.

Da richtet sich eine junge Frau ein Nest auf einem Zweig, ein altes Stück Holz kann zur Basis einer Plastik werden und ein Stein wird zur Sitzgelegenheit.

Erstaunlicherweise geht den Figuren von Jutta Fiedler kein Entwurf voraus. Sie benutzt auch keine Vorlagen oder Modelle, und Fotografien dienen nur dazu um Proportionen zu vergleichen.

Am liebsten nutzt sie eine hölzerne Künstlerpuppe, da diese neutral ist und so ihre künstlerischen Vorstellungen nicht beeinflussen kann. Letztlich werden Körperformen von den Emotionen bestimmt, die sie ausdrücken möchte.

Auffallend ist bei Jutta Fiedlers Plastiken aus hellem Ton das keine Format und die weiße, Glasur, die sie wie Porzellan wirken lassen. Details werden bisweilen farbig akzentuiert, was sie besonders hervorhebt und in ihrer Bedeutung steigert.

So sind z.B. die Stiefel einer jungen Frau, die mit großen Schritten voranstürmt, mit glänzendem Gold glasiert. “Zu dir. Mit Siebenmeilenstiefeln“ ist der Titel dieser ausdrucksstarken kleinen Figur.

Auch die hinreißende Büste einer ganz im Rokokostil gekleideten und frisierten jungen Frau, wird durch einige farbige Akzente belebt. „Der Schlüssel“ ist der Titel dieser Plastik, und sie hält ihn – goldglänzend – mit bedeutungsvollem Blick fest. Zu welchem Schloss mag er passen? Zu einer geheimen Kammer, zu einem Tagebuch oder zu einem Herzen? Wir wissen es nicht, aber wir dürfen unseren Gedanken und Ideen Raum geben, eine Geschichte erfinden oder den Schlüssel zum öffnen unserer eigenen Seele verwenden – vielleicht wird so Vergessenes und Verschüttetes wieder wach! Auch das, meine Damen und Herren, kann Kunst!

Mit der weißen Glasur und der sparsamen Farbigkeit erreicht die Künstlerin eine gewisse Distanz zu ihrer realistischen Gestaltungsweise und gibt dem Beschauer Raum zum Innehalten und für eigene Gedanken.

Eine ebenso faszinierende weibliche Büste trägt den Titel „In meinem Kopf“. Das, was sich in Jutta Fiedlers Gedanken und Gefühlen verbirgt, hat die Künstlerin nach außen gewendet und in den den wie elektrisiert sich sträubenden Haaren versteckt. Während das lächelnde Gesicht mit geschlossenen Augen ganz träumerisch und entspannt wirkt, tummeln sich im Haar die Form und Farbe gewordenen Ideen und Inhalte ihres Lebens. Ein Buch und ein Wollknäuel mit Stricknadeln sind ebenso vorhanden wie ein angebissener Apfel ein Wickelkind und vieles mehr – lassen Sie sich überraschen! Vielleicht entdecken Sie ganz neue Seiten an der Künstlerin.

Manchmal sind auch Gedichte Inspirationsquellen für Jutta Fiedler. Hilde Domin ist eine Autorin, die sie besonders liebt und von ihr stammt der Titel: „Und doch, wenn du lange gegangen bist, bleibt das Wunder nicht aus“.

Eine junge Frau kniet erschöpft vom langen Weg auf einem Sockel aus altem Holz. Nur die Lippen des weißen Figürchens beleben das Gesicht mit zartem Rot, ein zögerliches Lächeln, ein Hoffnungsschimmer, vielleicht doch ein Wunder?

Gerne greift die Künstlerin auch in die lange Tradition von Literatur und Kunstgeschichte.

Da gibt es ein bezauberndes Köpfchen, geschmückt mit den Früchten und Blumen des Herbstes, das an die lange Tradition der Jahreszeitendarstellungen erinnert. Auch der Renaissancekünstler Giuseppe Arcimboldo mit seinen skurril zusammengefügten Gesichtern lächelt aus dem 16. Jahrhundert herüber.

Diesmal wurde das Köpfchen farbig gefasst und strahlt in den warmen Tönen der Erntezeit.

Gold – und Pechmarie, ein Märchen der Sammlung der Brüder Grimm, wurden als zierliche Mädchen geformt und auf Holzsockeln platziert, die eine von Gold übergossen, die andere schwarz vom Pech. So drastisch hat man in jenen Zeiten die Folgen von guten und schlechten Handlungen dargestellt.

Ich fürchte, es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, dass auch die Brüder Grimm „verbessert“ werden!

Ein Thema der Kunst von der Antike bis zum heutigen Tag sind die 3 Grazien. Meist stehen sie, wenig oder gar nicht bekleidet, im Kreis beieinander, fassen sich an den Schultern und drehen sich im Tanz. Bei Jutta Fiedler sind die Töchter des Zeus, die den Menschen Lebensfreude und Schönheit brachten, ausgelassene junge Mädchen, die in frisch geernteten Trauben schwelgen. Auch hier werden mit wenig Farbe geistreich Akzente gesetzt.

Jutta Fiedlers detailliert und lebendig gestaltete Figuren, zeigen Schmerz und Freude, Witz und Lebensklugheit, sie erzählen Geschichten und sind Sinnbilder menschlicher Stärken und Schwächen.

Damit greifen sie in zeitgenössische Weise auf den Realismus des 19. Jahrhunderts zurück, wo Maler und Bildhauer die ganz alltägliche Lebenswelt des Menschen zeigen wollten. Vom Publikum hoch geschätzt, wurden diese Werke zum Zentrum des Schauens und Nachdenkens, über sie wurde im Freundeskreis diskutiert und geschmunzelt, ja vielleicht sogar eine Lebensmoral daraus gewonnen. Die lebendigen und ausdrucksvollen Arbeiten von Jutta Fiedler könnten durchaus die modernen Nachfolger dieser Werke sein.

Ich denke, meinen Damen und Herren, die Erläuterungen und Beispiele reichen für Ihren eigenen Weg durch die Ausstellung.

Erfreuen Sie sich an der Kunst und lassen sie sich auf diese faszinierenden Werke ein, Sie werden viel entdecken und Nahrung für Geist und Seele finden.

Genießen Sie die Gespräche und den Wein und nehmen Sie einen wenig Wärme und Inspiration mit in den Alltag hinaus.

Liane Thau / Kunsthistorikerin

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