Original Zeichnungen
25.3.22 bis 15.6.22
von Nadine Waldmann M.A.
Der bekannte Karikaturist, Zeichner, Illustrator und Grafiker Paul Flora wurde vor knapp 100 Jahren am 29. Juni 1922 im beschaulichen Glurns in Südtirol geboren. Zählt mit nur 905 Einwohnern zu den kleinsten Städten in den Alpen.
Glurns
Der Ort im Vinschgau wurde unter anderem bekannt, weil vor 500 Jahren die lokal ansässigen Mäuse wegen verursachter Feldschäden angeklagt wurden.
Diese kamen der Vorladung allerdings nicht nach und erschienen nicht bei Gericht. Sie wurden für schuldunfähig befunden und verurteilt den Ort zu verlassen. Hierbei wurden ihnen Geleitschutz gegen ihre natürlichen Feinde wie Hunde oder Katzen gewährt. Zusätzlich galt eine Ausnahmeregelung für werdende Mütter, diese bekamen eine Zusatzfrist bis 14 Tage nach der Niederkunft. Noch heute kann man im Andenken an das Verfahren in einer ortsansässigen Konditorei „Glurnser Mäuse“ in Schokolade mit Marzipanfüllung kaufen.
Kindheit und Jugend
Er selbst schilderte seine Kindheit, dass er inmitten von sechs Geschwistern aufwuchs, eher hastig und beiläufig erzogen wurde, ein schwieriges Kind war und mehrere interessante Komplexe bekam, welche seither seine Geschäftsgrundlage bilden.
Als Paul Flora 5 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Innsbruck um. Sein künstlerisches Talent wurde bereits früh erkannt und durch einen Zeichenlehrer gefördert.
Mit 14 entdeckt er Alfred Kubin für sich und wird eine lebenslange Verbundenheit zu diesem Künstler und seinen Arbeiten pflegen. Dessen Bildwelt, die ihm aus regionalen Gründen vertraut war, inspirierte Flora und fortan bevölkerten auch seine Werke Geister, Gehenkte und Mordfälle. Darüber hinaus begeisterte die Literatur Rilkes sowie „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann.
Sein Zeichenlehrer brachte ihn zu dem renommierten Porträtmaler Max von Esterle, der einen Aktzeichenkurs an der Uni Innsbruck gab. Paul Flora war damals noch junger Gymnasiast und dementsprechend war seine Teilnahme eine große Affäre und bedurfte einer schriftlichen Bestätigung der Eltern diese „sittliche Gefährdung“ zuzulassen.
Studium/Krieg
Nach dem Abitur/Matura 1942 ging er nach München und wurde ohne Aufnahmeprüfung nur durch Vorlage seiner Zeichnungen an der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen.
Bei einer Wohnungsbesichtigung sah er auf dem Tisch der Vermieterin den Roman „Die andere Seite“ von Alfred Kubin liegen. Nach einem kurzen Gespräch entpuppte sich diese als Cousine Kubins und Flora zog dort ein.
In München war er laut eigener Aussage eher faul, ließ sich treiben und fühlte sich wie in einem Wartesaal. Er sah die Akademie kaum von innen, konnte nichts beginnen und wollte eher das „Ende des Schreckens“, gemeint ist der Zweite Weltkrieg, abwarten. Seine einzige Anregung war die Kunsthandlung Gauss mit Büchern und Drucken, die heimlich aus Paris beschafft wurden. So konnte er sich an Arbeiten von Kokoschka, Matisse, Klee und Picasso erfreuen.
Er verdiente sich etwas Geld dazu, indem er Zeichnungen für die Zeitschrift das Familien-ABC fertigte und mit 5 Mark pro Arbeit entlohnt wurde.
1944 wurde er in die Wehrmacht einberufen und leistete Kriegsdienst in Italien, Ungarn und der Slowakei. Er kam allerdings relativ glimpflich davon. Das einzige Wesen, das er während des Krieges tötete, war eine Kuh, die durch den Schlachtlärm verrückt geworden war. Nach einer kurzen Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrte er 1945 nach Innsbruck zurück.
Karriere
Bereits im November desselben Jahres fand seine erste Ausstellung in Bern statt.
Im gleichen Jahr erhielt er eine Stellung als Beamter. Er sollte ein Kulturbüro leiten und sagte dazu selbst: „Kein Mensch, geschweige denn ich, hatte eine Ahnung, was ich überhaupt tun sollte.“ Scheinbar hat er es auch nie herausgefunden und daher schon drei Monate später seinen Dienst wieder quittiert.
Ein persönliches Highlight der Nachkriegszeit für Flora war, die persönliche Bekanntschaft und später Freundschaft zu dem von ihm bewunderten Alfred Kubin, die bis zu dessen Tod im Jahr 1959 anhielt.
Ab 1949 wird er Mitarbeiter bei der Münchner „Neuen Zeitung“. Und das sollte nur der Anfang seiner Karriere als einer der beliebtesten Zeichenkünstler im deutschsprachigen Raum werden. Er arbeitete außerdem für „Die Zeit“, den “Observer“, die „Times“ und verschiedene andere internationale Blätter, da seine Zeichnungen und Karikaturen unabhängig von Sprachen verstanden werden konnten.
Bei dem Züricher Diogenes Verlag bringt Flora eigene Bücher heraus, illustriert aber auch Bücher anderer Autoren, wie zum Beispiel Erich Kästner, der den Glurnser auch als „Bilderschriftsteller“ bezeichnete.
Seiner ersten Einzelausstellung in Bern 1945 sollten noch zahlreiche andere folgen, unter anderem in der Galerie Gurlitt in München, im Ferdinandeum in Innsbruck, bei der Biennale in Venedig oder der Münchner Akademie der Schönen Künste. Von 1964 bis 1992 kuratierte er Ausstellungen für die Städtische Taxis-Galerie in Innsbruck.
Darüber hinaus entwarf der überaus produktive Künstler auch Bühnenbilder für das Wiener Akademietheater oder das Schauspielhaus in Hamburg, Briefmarken, Geschirr, Briefbeschwerer, Weinetiketten, Telefonkarten für die österreichische Post, Logos für Vereine und bemalte Kachelöfen.
Noch an seinem Todestag, dem 15. Mai 2009, soll er an einer Zeichnung gearbeitet haben. So wundert es nicht, dass sein umfangreiches Werk aktuell niemand überblickt und es bisher kein Werkverzeichnis seiner zahlreichen unnummerierten Zeichnungen gibt. Flora blieb bei allem Erfolg bodenständig und seiner Heimat verhaftet. So verkaufte er seine Zeichnungen regelmäßig auf dem Markt in Glurns und war stolz darauf, dass seine Zeichnungen nicht nur in Museen, sondern auch in abertausenden Wohnzimmern „einfacher Menschen“ hingen.
Er selbst beschrieb sich und sein Arbeiten sehr bescheiden: „Ein besonders engagierter Mensch bin ich nicht. Mir kommt es hauptsächlich darauf an, möglichst gute Zeichnungen zu machen, mich bei der Arbeit an diesen zu amüsieren und dafür womöglich noch bezahlt zu werden.“
Stil und Motive
Flora wurde einmal in einem Interview nach drei Dingen gefragt, die er mag.
Seine Antwort lautete: „Provinz, Oktober und Trompete blasen“.
Diese Aussage charakterisiert trotz ihrer Kürze dennoch die beiden Pole, die in Floras Schaffen immer präsent sind: In schweren dunklen Szenarien blitzt häufig ein Funken Humor oder Ironie auf, während vermeintlich heitere Darstellungen häufig auch einen melancholisch-schwermütigen Zug aufweisen.
Die Bildwelt Paul Floras zeichnet sich durch einen Reichtum an Phantasie und Facetten aus.
Wie ein roter Faden zieht sich seine Vorliebe für das Mysteriöse, Skurrile und etwas Abseitige durch sein Oeuvre. Die Bewunderung für Alfred Kubin scheint immer wieder durch.
Die Nacht ist bei ihm präsenter als der Tag, Bäume sind häufig vom Wind gebeutelt und blätterlos und oft verteufelte Tiere wie Ratten, Fledermäuse, Raben oder schwarze Katzen huschen in diesen Szenarien umher.
Venedig mit seinem morbiden Charme des drohenden Verfalls beschäftigte Flora immer wieder in seinen Arbeiten.
Er bezeichnete die Lagunenstadt als Ort, wo man nie zu spät kommt, denn alles bleibt gleich, obwohl es immer ein bisschen mehr verfällt.
Er porträtiert auch Venedig in seinem markanten Stil. Zum einen die düstere Seite der Stelzenstadt mit nächtlicher Lagune und den fast schon bedrohlich wirkenden Schatten der Palazzi, gleichzeitig tauscht er augenzwinkernd die als friedfertig geltenden Tauben auf der Piazza San Marco mit einer Horde schwarzer Raben aus.
Paul Flora war trotz internationaler Bekanntheit – und das bereits vor Social Media – sehr mit seiner Heimat Tirol verbunden. Dennoch stand er gewissen Tiroler Eigenheiten bzw. Traditionen reserviert gegenüber. Obwohl er die Gabe des „bösen Blicks“ auf die Welt hatte und er das oft Verlachenswerte in seinen Zeichnungen festhielt, tat er dies nie mit Bösartigkeit, sondern mit subtilem Humor. Selbst der dumpfeste Tiroler Schütze wie bei Flora zum Original.
Ein Vogel, der in Tirol, aber auch über den restlichen Erdball verbreitet ist – der Rabe – war eines der Lieblingsmotive des Künstlers. Unzählige Male zählte er die zu Unrecht verrufenen überaus intelligenten Tiere dar.
Sogar seinen Grabstein zieren zwei der schwarzen Rabenvögel.